Ein Provisorium lebt lange
26.05.2024 / Pfarrer Guido Hepke. Evangelische Kirchengemeinde Weilburg
Nichts ist so langlebig wie ein Provisorium. Das weiß jeder. Die Fußleisten müssten noch gesetzt werden. Das machen wir später, wenn Zeit ist. Die nackte Glühlampe leuchtet seit Jahren im Badezimmer. Doch die ideale Beleuchtung ist noch nicht gefunden. Wir können das ja immer noch ändern. Besser machen. Irgendwann. So heißt es dann.
So ähnlich waren auch die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes unterwegs. Vor 75 Jahren haben sie die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet. Auch das war ein Provisorium: Denn diese Verfassung galt ja nur für den Westen Deutschlands. Im Osten gab es die DDR. Doch man wollte die Hoffnung nicht aufgeben: Irgendwann wird die Teilung überwunden sein. Dann geben wir uns eine Verfassung für das ganze Land.
Doch nichts ist so langlebig wie ein Provisorium: 1989 kam es zur Wiedervereinigung. Das Grundgesetz blieb. Nun galt es für alle Bundesländer, auch im Osten. Eine neue Verfassung, die wurde damals nicht ausgearbeitet.
Eigentlich gut so. Denn viele Staatsrechtler sagen: Das Grundgesetz ist eine der besten Verfassungen, die es weltweit gibt. Gewaltenteilung, Garantie der Grund- und Freiheitsrechte – die Mütter und Väter des Grundgesetzes hatten aus der Hitler-Diktatur gelernt. Und zugleich die guten Traditionen der Weimarer Verfassung weiterentwickelt. Warum also etwas ändern?
Der Apostel Paulus sagte einmal: Prüfet alles, und das Beste behaltet.
Ich meine: Das Grundgesetz hält dieser Prüfung stand. Provisorisch war ohnehin nur der Geltungsbereich: Man wollte eine Tür offen halten – in Richtung Wiedervereinigung.
Die ist da. Seit vielen Jahren schon. Deshalb ist es an der Zeit, aus dem Provisorium etwas festes zu machen. Das Jubiläum ist dazu ein prima Anlass: Lasst uns aus dem Grundgesetz unsere Verfassung machen. Eine bessere demokratische Grundordnung kann ich mir nicht vorstellen.
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