Corona und der christliche Glaube
Foto: Peter Wagner20.05.2020 dr_pw Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
„Was hat denn Gott mit dem Corona-Virus zu tun?“ – „Wo ist Gott in diesen Zeiten?“ – „Wie gehen Christen mit einer solchen Pandemie um?“ Diese Fragen werden in unseren Gemeinden laut, und nicht nur dort. Ich möchte einige Antworten darauf geben und mich dabei am apostolischen Glaubensbekenntnis orientieren. Wir beten es in jedem Gottesdienst, und wir dürfen von dort her hilfreiche Impulse erwarten.
„Was hat denn Gott mit dem Corona-Virus zu tun?“ Diese Frage verweist auf den ersten Satz im Glaubensbekenntnis: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde“. Als Christin glaube ich: Gott hat diese Welt geschaffen. Sie ist kein Produkt des Zufalls, sondern sein Wille und Werk mit allem was ist: „Strohhalm und die Sterne, das Sandkorn und das Meer“ (M. Claudius). Doch Gott ist eben nicht nur für das Schöne verantwortlich, sondern auch für das Erschreckende in der Natur: Tsunamis, Erdbeben und auch Viren kann ich – so gern ich das auch manchmal möchte – keinem „Gegen-Gott“ in die Schuhe schieben, denn ich glaube: Es gibt nur einen Gott. Von ihm heißt es im 1. Mose gleich mehrfach: Er hat diese Welt „gut“ geschaffen. Aber: Sie ist leider nicht perfekt. Die Bibel erzählt wieder und wieder von Krankheit, Seuchen und Hungersnöten. Paulus schreibt in Römer 8 vom „Seufzen der Kreatur“: Menschen, Tiere, Pflanzen leiden. Die Bibel malt kein rosarotes Bild von der Erde und gaukelt mir keine Illusionen vor. Sie beschreibt stattdessen ganz nüchtern, was ist: Zur Schöpfung gehören auch die Schattenseiten. Ja, genau so hat Gott sie geschaffen. Zugleich lesen wir aber in der Bibel: Gott lässt seine Schöpfung mit ihren dunklen Seiten nicht allein und überlässt die geschundene Kreatur nicht ihrem Schicksal. Mit den Menschen der Bibel glaube ich an eine Neuschöpfung, in der Leid und Geschrei und Schmerz nicht mehr sein werden (Offb 21). Als Christin bin ich deshalb in doppeltem Sinne Realistin: Ich weiß, dass es Krankheiten gibt, derer wir nicht Herr werden, weil wir nicht die Herren dieser Welt sind. Und zugleich hoffe ich auf die neue Welt, auf Gottes Reich, wie es uns ja auch das Glaubensbekenntnis im letzten Satz vor Augen stellt: „Auferstehung der Toten und das Ewige Leben“.
„Wo ist Gott in diesen Zeiten?“ Auf diese Frage finde ich im zweiten Teil des Glaubensbekenntnisses wichtige Hinweise. Dort heißt es: „Ich glaube an Jesus Christus.“ Ja, als Christin bin ich gewiss, dass Gott in der Person Jesu selbst auf diese Erde gekommen hat. Gott hat Hand und Fuß, Gesicht und Stimme Jesu. Und Gott hat – durch Jesus – viel reale Lebenserfahrung und kennt Unterdrückung und Hunger, Streit und Krankheit, Einsamkeit und Furcht aus eigenem Erleben. Unser Gott weiß genau, wie es sich anfühlt, Angst zu haben, ohnmächtig zu sein, nicht weiter zu wissen. Zugleich gilt: Durch Jesus wissen wir Menschen, wie Gott ist. Er ist stärker als Krankheit und Tod. Er heilt. Er versöhnt. Er wendet sich seinen Menschen zu. So handelte Jesus, und durch ihn haben die Menschen Gottes innerstes Wesen kennen gelernt. Von Jesus weiß ich: Gott ist bei den Menschen, und er ist von ihrem Ergehen von tiefstem Herzen bewegt. Deshalb antworte ich auf die Frage, wo Gott in Corona-Zeiten ist: „Er ist hier!“ Gott ist nicht irgendwo weit weg, sondern genau jetzt mitten unter uns. Er leidet mit und sorgt sich. Weint mit den Trauernden. Stärkt die Pflegekräfte. Gibt den Forschenden Verstand. Und er ist stärker als der Tod. Auch das sehen wir an Jesus, als er am Ostermorgen auferstand und sich seinen Jüngerinnen und Jüngern zeigte. Als Jesus aus dem Grab kam, hat Gott mitten in dieser Erdenzeit schon dem Tod seine Grenzen aufgezeigt und die Tür in sein Reich ganz weit aufgestoßen. Die Hoffnung, dass ich auf dieser Welt nicht von Gott verlassen bin und dass ich weit über Leid und Tod hinaus denken darf – diese Hoffnung trägt mich. Und ich mache sie fest am gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus.
„Wie gehen Christen mit einer solchen Pandemie um?“ Eine Antwort darauf finde ich im dritten Teil des Glaubensbekenntnisses: „Ich glaube an den Heiligen Geist.“ Der Geist Gottes hat vielerlei Aufgaben auf dieser Erde. Eine davon ist: Die Kirche gründen. Das geschah, so erzählt Apostelgeschichte 2, zu Pfingsten. Eine andere Aufgabe: Trösten. Dies wird in Johannes 14-16 besonders herausgestellt, und der Heilige Gottes wird dort ausdrücklich „der Tröster“ genannt. Beides dürfen wir ganz eng zusammendenken: Der Heilige Geist hat die Kirche gegründet, damit sie an der Trost-Aufgabe mitwirkt. Ja, dafür sollen Christinnen und Christen in diesen Monaten besonders da sein: zu trösten. Und das geschieht ja vielfach: Sie rufen diejenigen an, die das Haus nicht verlassen wollen oder dürfen. Sie beten für die Ärztinnen und Pfleger, die sich intensiv um die Schwersterkrankten kümmern. Sie klagen mit allen, deren wirtschaftliche Zukunft sich so arg verdüstert hat. Sie hoffen mit der Politik und der Virologie, dass deren Entscheidungen, die sie in aller Ernsthaftigkeit getroffen haben, die Seuche wirklich langfristig eindämmen. Trösten heißt auch: Zuhören, hinhören, wahrnehmen – und ganz behutsam von der eigenen Hoffnung erzählen. Als Tröstende tragen wir dabei eine große Verantwortung! Wir dürfen keine grundlosen Hoffnungen verbreiten, keine Gerüchte weitertragen und erst recht keine Panik schüren. Wir wissen aus der langen Geschichte der Menschheit, dass Seuchen immer Verwirrung und wirtschaftliche Nöte mit sich bringen. Deshalb müssen wir uns nicht wundern, dass es jetzt auch so ist. Christenmenschen aber bleiben nüchtern und trösten die Gesellschaft mit unaufgeregtem Realismus und mit der Hoffnung auf Gottes ungeahnte Möglichkeiten.
Der dreifache Blick ins Glaubensbekenntnis hilft mir, geistliche Antworten zu finden auf die Fragen dieser Zeiten und mein Vertrauen auf unseren Gott nicht wegzuwerfen, wenn ich selbst verwirrt bin. Vielen aus der „Gemeinschaft der Heiligen“, die in zwei Jahrtausenden Christenheit vor uns geglaubt haben, erging es ebenso. Ihnen wuchsen dann wirksame Kräfte zu, um bedrückende Zeiten durchzustehen. Ich bete darum, dass dies auch im Jahre 2020 so sein wird – im Vertrauen auf unseren Herrn, aus dessen Hand uns nichts und niemand reißen kann.
Annegret Puttkammer, Pröpstin der Propstei Nassau-Nord
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