Goldene Konfirmation
02.02.2023 / Dekan Manfred Pollex
Die meisten habe ich viele Jahre nicht gesehen, bei manchen ist es Jahrzehnte her und einige tatsächlich ein halbes Jahrhundert nicht. Denn der Anlass war unser 50-jähriges Konfirmationsjubiläum.
Mit gemischten Gefühlen bin ich in meinen ehemaligen Heimatort gefahren. 50 Jahre sind vergangen ohne nennenswerten Kontakt. Als Pfarrer ist man ja doch so etwas wie ein Exot. Die Festpredigt im Gottesdienst sollte ich halten.
Beim Blättern in alten Fotoalben kamen mir Namen in den Sinn, Geschichten, Begebenheiten aus meiner Kindheit und Jugend. Der rothaarige Försterjunge- wir waren dicke Freunde. Dann die heimliche Jugendliebe, die meine Einladung zum Eis Essen ausschlug.
Wir trafen uns vor der Kirche und ich war überrascht, wie viele doch zum Gottesdienst gekommen waren. Viele erkannt ich sofort, bei anderen wurde es durch die Frage „Na, erkennst du mich nicht mehr?“ peinlich.
Nach dem Gottesdienst saßen wir noch lange zusammen. Je länger der Abend wurde, umso deutlicher spürte ich: Das sind fast alles für mich keine unbeschriebenen Blätter. Der Name, das Gesicht und schon kommt eine Geschichte in Erinnerung. Man kann ja auch sonst kaum Bilder anschauen, ohne Geschichten dazu zu erzählen. Namen, Gesichter und Geschichten gehören zusammen.
Überraschend war für mich auch, wie wenig sich die einzelnen doch verändert haben. Die Ruhigen von damals sind ruhig geblieben. Die Lebhaften lebhaft. Der Klassenclown von damals ist es heute noch, obwohl er den ehrenwerten Beruf des Richters innehat. Einer meinte, er hätte mich an meinem Lachen wieder erkannt.
Heute bin ich davon überzeugt, dass solche Zusammenkünfte und Feiern wichtig sind. Es tut gut, zu entdecken, dass jeder von uns ein Teil der Geschichte vieler anderer ist. Es ist uns überhaupt nicht bewusst, welche Rolle wir in der Erinnerung anderer spielen, welche Eindrücke wir hinterlassen haben.
Jedes Leben ist wie ein Buch. Aber beim Lesen nur der Seiten 5, 21, 45 und 75 wird kein Mensch einen sinnvollen Zusammenhang erkennen. Um ein Leben zu verstehen, sind viel mehr Seiten nötig. Auch die ganz vorne, auch die langweiligen, auch die schlimmen Seiten. Viele, möglichst alle. Es muss auch einen geben, der das Buch entwirft und schreibt.
Gott ist der Herausgeber. Von ihm stammt die Idee. Und wir haben die Freiheit, diese Idee von unserem Leben zu verwirklichen – oder auch nicht.
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