Das Unwort des Glaubens
17.09.2022 / Dekan Manfred Pollex
Wir erleben eine Zeitenwende, sagte kürzlich der Bundeskanzler und meinte damit nichts Gutes. Viele fürchten den „Niedergang“ unseres Landes. Das hat vor allem mit dem Angriffskrieg Russlands zu tun, jenes grausame Gemetzel, das uns bisher „nur“ wirtschaftlich und finanziell hart trifft. Wie werden wir über den Winter kommen? fragen wir, während die wirklichen Kriegsopfer ihre Toten und die verlorene Heimat beweinen.
Die zunehmende Spaltung der Gesellschaft wird nur schwer zu verhindern sein und die Sorge, dass die Regierung mit dieser Gemengelage nicht mehr fertig wird, ist berechtigt. Es ist ja eine Tatsache, die auch von vielen Statistiken belegt ist: Immer weniger Menschen nehmen Rücksicht auf andere, immer mehr Menschen aber poltern schneller los; manche schrecken dabei auch vor Gewalt nicht zurück. Wie lange wird die Solidarität mit der Ukraine halten oder schafft es Putin, uns gegeneinander aufzubringen?
Die schweren Krisen jedoch sollten nicht unser Vertrauen in uns selbst und in die eigenen Kräfte erschüttern. Wir sind weltbekannt für unsere „German Angst“, doch Furcht ist kein guter Ratgeber.
Ich verstehe die Sorgen und habe sie auch. Die Nerven liegen schneller blank, so kommt es mir oft vor. Ich verstehe auch die Menschen, die sich wegen alldem nur noch in ihre Wohnungen zurückziehen und am liebsten nichts mehr hören wollen von Krieg, Krisen und Spaltungen. Die Welt wird ihnen zu viel. „Ich bleibe lieber für mich“, sagen sie dann. Und: „Ich will mit alldem möglichst nichts mehr zu tun haben.“ Das ist verständlich.
Aber hilfreich ist es eher nicht; und gut wohl auch nicht. Es gibt auch Menschen, die einen anderen Weg wählen – und das in einer Umfrage auch deutlich sagen. Sie kümmern sich mehr als vorher. Sie kümmern sich mehr als früher um ihre Umgebung in der Nachbarschaft, in Dorf oder Stadtteil und in manchen Vereinen. Die Welt um sie herum ist ihnen nicht egal.
Das ist besser. Was ich gebe, kommt auch zu mir zurück. Ich werde denen nicht egal, um die ich mich sorge. Das ist so, sagt Jesus. Das ist ein offenes Geheimnis im Reich Gottes. Wer barmherzig ist mit anderen, wird auch Barmherzigkeit erleben. Nicht immer sofort, aber bald oder später. Das ist eine Verheißung, auf die hin zu leben sich lohnt.
„Egal“ ist ein Unwort des Glaubens. Das bessere und hilfreichere Wort heißt Fürsorge. Sie ist manchmal anstrengend, weiß Gott, aber sie lohnt sich. Und wenn wir schon eine Zeitenwende erleben, dann darf es ja ruhig auch eine sein hin zur Zuwendung. Kein Mensch soll uns gleichgültig werden. Eine schöne Aufgabe. So ist das Reich Gottes mitten unter uns.
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